„Festverzinsliche Anlagen werden in den kommenden zwölf Monaten ein Comeback erleben“, so die Meinung von Gene Tannuzzo, Global Head of Fixed Income
Die globalen Anleihenmärkte litten 2022 unter dem aggressiven Kurswechsel der wichtigen Zentralbanken, die
der hartnäckigen Inflation begegnen wollten. Innerhalb und außerhalb der USA fielen die Erträge im historischen
Vergleich sehr schwach aus. Im Jahresverlauf sorgte die – vor allem durch steigende Zinsen bedingte – Volatilität
dafür, dass die Renditen besonders zinssensibler Anleihen, wie z. B. Staatsanleihen, tief negatives Terrain
erreichten. Aber auch Papiere bonitätsschwächerer Emittenten außerhalb des Investment-Grade-Segments
standen unter Druck. Folglich hätten Fixed-Income-Anleger mit Staatsanleihen genauso viel Geld verlieren
können wie mit Hochzinstiteln (Abbildung 1).
Abbildung 1: 2022 war für alle festverzinslichen Anlagen ein schwieriges Jahr (Gesamtrendite, 12 Monate rollierend, in %)
Quelle: Bloomberg LP, Stand: 15. Oktober 2022. Staatsanleihen werden durch den Bloomberg US Treasury Index abgebildet, der die Wertentwicklung auf
US-Dollar lautender, vom US-Finanzministerium begebener nominaler Anleihen misst. Hochzinsanleihen werden durch den Bloomberg US Corporate High
Yield Index abgebildet, der die Wertentwicklung des Marktes für auf US-Dollar lautende festverzinsliche High-Yield-Unternehmensanleihen misst
Es herrscht nahezu Einigkeit über die Voraussetzung für ein Ende der Misere: Klarheit über ein Ende der
Zinserhöhungen der Zentralbanken. Der Vorsitzende der US Federal Reserve, Jay Powell, hat deutlich gemacht,
dass die Zentralbank „zwingende Beweise für ein Nachlassen der Inflation“ sehen möchte, bevor sie ihre
Geldpolitik ändert1
.
Die Zentralbanken befinden sich jedoch in einem Dilemma. Ihnen ist bewusst, dass sich die Geldpolitik erst mit
einer gewissen Verzögerung auf die Realwirtschaft auswirkt. Nehmen wir einmal an, dass es sechs Monate
dauert, bis Zinsänderungen auf das Wachstum durchschlagen, dann entfalten zum Beispiel die ersten
Zinserhöhungen der Fed von Anfang 2022 erst jetzt in den USA allmählich ihre Wirkung, sodass weitere
Belastungen folgen werden. Dieses Phänomen weiterer Schmerzen wird oftmals als „straffere finanzielle
Bedingungen“ umschrieben. Vereinfacht ausgedrückt, versuchen die Zentralbanken, das Wirtschaftswachstum
und den Inflationsdruck zu drosseln, indem sie die Nachfrage durch höhere Zinsen senken, wodurch die
Finanzierungskosten für Verbraucher und Unternehmen steigen. Gelingt ihnen das? Die „gute“ Nachricht ist,
dass es in den USA Anzeichen dafür gibt, dass diese Politik zu greifen beginnt. Es besteht allerdings die Gefahr,
dass sie mit ihrem Zinserhöhungsregime über das Ziel hinausschießen. In der Vergangenheit gingen finanzielle
Bedingungen, die noch straffer waren als die heutigen, immer mit Rezessionen einher.
Weiterer Treiber für festverzinsliche Anlagen
2022 trieben Zinserhöhungen und straffere finanzielle Bedingungen die Erträge festverzinslicher Anlagen nach
unten. Zur Jahreswende dürften sich die Volkswirtschaften recht dramatisch abkühlen. Gleichwohl glaube ich
nicht, dass sich 2008 oder 2020 wiederholen werden, als der Abschwung bestimmte Wirtschaftsbereiche
besonders stark betraf. Da die finanziellen Bedingungen bereits erheblich gestrafft wurden, werden in allen
Branchen jeweils die Schwächsten den wirtschaftlichen Schmerz zu spüren bekommen. Dies bedeutet, dass
überschuldete Unternehmen und Verbraucher sowie Staaten, die erhöhte Währungsschwankungen nur schwer
bewältigen können, verstärkt unter Druck geraten werden.
Anleger profitieren bei der Absicherung ihrer Portfolios nicht länger von politisch motivierten Stoßdämpfern –
wie quantitative Lockerung oder künstlich niedrig gehaltene Zinsen –, und werden neue Puffer finden müssen,
um die Auswirkungen volatiler Markt- und Konjunkturverläufe abzufedern. Im Grunde ist dies gleichbedeutend
mit einer höheren Kreditqualität: Unternehmen mit soliden Fundamentaldaten, gesunden Cashflows und
niedriger Verschuldung. Ebenfalls möglich ist die Abkehr von bestimmten Risiken, wie z. B. Wertpapieren, die zu
stark im unteren Spektrum der Verbraucherkredite engagiert sind, hin zu Anlageklassen wie
Kommunalobligationen und hypothekarisch besicherten Wertpapieren öffentlicher Emittenten (Agency
Mortgage-Backed Securities, AMBS).
Die umfassende Neubewertung von Anleihen und die derzeit höheren Anfangsrenditen können dazu beitragen,
die Anleger vor weiteren Verlusten zu schützen. Die Renditekurve ist sehr flach und verläuft auf einem sehr
hohen Niveau, weshalb sich Anlegern, die längere Durationen meiden möchten, attraktive Gelegenheiten bei
kurzfristigen Unternehmensanleihen bieten, die Renditen von etwa 5,5% oder 6% aufweisen.2
Wer sich mit einer längeren Duration wohlfühlt, sollte diesbezüglich die Augen offenhalten, denn in den USA
wird sich meiner Meinung nach der Fokus weg von der aggressiven Zinserhöhungspolitik der Fed und hin zu den
Auswirkungen einer Pause bei der Zinsstraffung verlagern. Bereits in der Vergangenheit gab es negative
Anleihenerträge, auf die später – sobald ein politischer Kurswechsel vollzogen wurde – hohe, wenn nicht sogar
zweistellige folgten. Allerdings reagieren die Märkte in der Regel sehr schnell auf das Ende des
Zinserhöhungszyklus, und wer versucht, den Tiefpunkt genau abzupassen, könnte die Chance vertun.
Trotz sehr attraktiver Bewertungen die Risiken beachten
Investment-Grade-Anleihen, die in diesem Jahr3 20% an Wert eingebüßt haben, könnten 2023 bessere
Ergebnisse liefern, da es sich bei ihren Emittenten um Unternehmen handelt, die sich in einem weniger
günstigen Umfeld nicht unbedingt refinanzieren müssen. Darüber hinaus bestehen so viele fundamentale
Diskrepanzen zwischen Europa und den USA, dass sich wahrscheinlich erstmals seit vielen Jahren in Europa
attraktivere Chancen bieten könnten als in den USA. Vor allem gilt dies für Investment-Grade-Anleihen, bei
denen das geopolitische Risiko um Russland und die Ukraine bereits eingepreist ist und die nun mit einer
Risikoprämie entschädigen. Hochzinsanleihen halten wir für voll bewertet, könnten aber ebenfalls profitieren,
falls die Wirtschaft im kommenden Jahr nicht in eine Rezession abrutscht.
Optimistisch für 2023
Ich glaube nicht, dass sich 2022 im kommenden Jahr wiederholen wird. Abwarten ist jetzt nicht das Gebot der
Stunde. Es bieten sich sehr überzeugende Gesamtrendite-Chancen bei hochwertigen Anlagen. Es bestehen zwar
durchaus Risiken, aber die Anleger werden angemessen entschädigt, und die Fokussierung auf Qualität und
Kreditauswahl ist entscheidend, wenn es darum geht, die Voraussetzungen für erfolgreiche festverzinsliche
Anlagen zu schaffen.
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Anleihen: optimistisch für 2023